Als ich gerade nach Hause kam und die vielen Antworten auf meine beiden Threads „Tritt Rappelphase bei jedem Meerie auf?“ und „Lange Kastationsfrist wirklich notwendig?“ las, war ich erst mal wie erschlagen. Auf eure Beiträge zu „Rappelphase“ werde ich noch antworten, sobald ich mich wieder etwas erholt habe. Das kann aber etwas dauern – und vielleicht gibt es bis dahin ja noch mehr Beiträge und Meinungen dazu.
Zum Charakter des Baby-Böckchens kann ich bisher noch nichts sagen, dazu ist er viel zu klein. An seinem 2. Lebenstag war er total süß und lieb – das sind ja wohl alle Babys. Ob ich ihn tatsächlich holen werde, kann ich im Moment auch noch nicht sagen, weil mir der Kopf schwirrt.
Dafür weiß ich jedoch sehr viel über meine 6-jährige Oma Adiri:
Sie wurde bei mir geboren, war ein ganz liebes und vermutlich gut sozialisiertes Jungschweinchen (ihre drei Geschwister waren definitiv gut sozialisiert), wurde später eine unfreundliche Einzelgängerin und kam, außer mit ihrem gleichaltrigen Böckchen, mit keinem anderen erwachsenen Schweinchen zurecht. Vor 1 ½ Jahren geschah dann ein Wunder: Obwohl ohne untere Schneidezähne und somit ohne beißen oder Haare ausreißen zu können, setzte sie sich gegen die damalige Chefin (jünger als die damals schon 4 ½-jährige Adiri) durch und übernahm das Rudel. Wie sie das völlig ohne „Nahkampfwaffen“ geschafft hat, weiß ich nicht. Seitdem ist Ruhe und sogar regelrecht Harmonie im Rudel und die Machtkämpfe, die bis dahin gerne auch mit Zähnen ausgetragen wurden, hörten komplett auf. Wenn Adiri zum Futternapf geht, macht eines der beiden anderen Mädels ihr Platz und wechselt zum anderen Napf rüber. Einfach so. Durchsetzen kann sie sich (trotz fehlender Zähne) offensichtlich ganz gut. Jetzt als Chefin macht sie als ehemalige Einzelgängerin plötzlich vieles gemeinsam mit den jüngeren. Sie braucht zwischendurch ihre Ruhe und hat auch einen sehr geschützten Platz, den keiner ihr streitig macht. Will aber auch oft in der Nähe der anderen sein und liegt dann dicht an dicht mit ihnen.
Vor 9 Monaten nahm Adiri dann einen 8 Monate alten Kastraten (Neuzugang nach dem Tod des alten Böckchens) und 2 Monate später ein 8 Wochen altes Baby-Mädel unter ihre Fittiche. Das Böckchen war von Anfang an äußerst umgänglich. Er verstarb leider 6 Monate später an einer schlimmen Krankheit. Alle meine Mädels haben bis vor wenigen Wochen immer noch sehr um ihn getrauert, weil er allseits sehr beliebt war. Adiri jedoch am meisten von allen. Das Baby-Mädel war bei der Züchterin ein heftiger Wildfang und Rabauke gewesen, wuselte überall herum und klaute jedem das Futter (in Außenhaltung, wo es genügend Wiese für jeden gab). Von den dortigen erwachsenen Schweinchen wurde sie deswegen häufig gebissen. In den ersten Wochen nach ihrem Umzug meinte sie, sie kann dies auch hier so weiterführen. Oma Adiri, als Chefin, hat ihr dies schnell abgewöhnt (vermutlich in Teamarbeit mit der 3-jährigen). Das Baby hatte hier im Rudel nie Bisswunden und hat sich in kurzer Zeit völlig eingefügt. Falls sie so anhänglich gegenüber dem Neuzugang sein wird wie gegenüber dem vorherigen Jungböckchen, kann es sogar sein, dass sie ihn adoptiert und erzieht. Wer so perfekt Regeln einhalten kann wie sie, kann diese Regeln auch gut weitergeben.
Adiri war in diesen 9 Monaten mit zwei Jungschweinchen kein bisschen gestresst. Dass sie auf Babys steht, weiß ich schon lange. Denen kann sie nämlich Vorschriften machen. Seit sie Chefin ist, konnte sie sich dann auch den Böckchen (dem alten und später dem Jungböckchen) ebenso wie ihrer entthronten Vorgängerin gegenüber durchsetzen. Meinem Eindruck nach wird sie sich auch einem rappelnden Baby-Böckchen (er würde bei Ankunft etwa 2 ½ - 3 Monate alt sein) gegenüber durchsetzen können und wird es bei ihm möglicherweise überhaupt nicht zu einer ausgeprägten Rappelphase kommen lassen. Wobei es eben sehr vom Charakter des Böckchens abhängt. Sie hat bisher ausgezeichnete Führungs- und Erzieherqualitäten bewiesen.
Ich mache mir viel eher Sorgen, ob Adiri sich in ihrem Alter gegenüber einem erwachsenen, erfahrenen Böckchen noch durchsetzen kann, zumal sie nicht zurückbeißen kann. Ohne die unteren Schneidezähne sieht sie zwar aus wie ein Säbelzahntiger, aber auch die beiden Mädels hatten schnell herausgefunden, dass sie nur drohen aber nicht tatsächlich zubeißen kann. Und ob Adiri nicht zerbricht, falls ein solches Böckchen sie als Chefin absetzen würde. Dass ein neues Böckchen die Chefin absetzt, habe ich bei meinen eigenen Tieren nie erlebt. Dies wird jedoch oft so beschrieben. Sie hat aber noch nie ohne Böckchen gelebt und kam mit den Böckchen gut zurecht (Ausnahme: ihr eigener Papa). Bei denen musste sie ihre Position aber nicht verteidigen. Völlig ohne Böckchen möchte ich weder Adiri noch die anderen beiden Mädels lassen, und alle drei werden ja auch nicht jünger.
Vor einigen Jahren hatte ich schon mal eine Oma in meinem Rudel. Gleicher Charakter wie meine Adiri: Einzelgängertyp, grantig und übellaunig, konnte sich nie wirklich in das Rudel einordnen. Auch sie hat sich mit großer Begeisterung auf jedes Baby gestürzt. Mit stolzen 6 Jahren, nach dem Tod der Vorgängerin, wurde sie die neue Chefin. Genau 1 Monat danach hat diese alte Dame völlig freiwillig ein neugeborenes Böckchen mitsamt seiner nur 14 Wochen älteren Mama gleich im Doppelpack adoptiert und großgezogen. Sie hat nicht lange nachgedacht sondern sofort bei seiner Geburt die Chance ergriffen, endlich doch noch Mama zu werden. Da war sie genauso alt wie Adiri jetzt ist. Aus beiden Babys wurden tolle Schweinchen, die nie irgendwelche Probleme gemacht haben.
Dieser Bub ist das in meinem Thread anfangs beschriebene Böckchen, das mit 7 Wochen kurzzeitig seine Flegeljahre auslebte. Er war später Adiris Böckchen und, nach dem Tod des anderen Böckchens (= Adiris Papa) und Wieder-Zusammenlegung beider Rudel, für alle Mädels zuständig. Er war als Kuckucksbaby im Bauch seiner Mama zu mir gekommen, wegen ihm musste ich das Rudel teilen. Zwei Geburten mit insgesamt 5 Babys (davon 3 Böckchen) innerhalb von 6 Wochen waren ein ziemlicher Stress für das gesamte Rudel. Diese Oma lebte durch „ihre“ beiden Babys völlig auf und war ab da richtig glücklich und entspannt. Drei Schweinchen (dicht an dicht gekuschelt, weil die Oma kuscheln so toll fand) gemeinsam auf einer kleinen Hängematte, so was hat es weder zuvor noch seitdem im Rudel gegeben. Dies war ein ganzes Jahr lang der Normalzustand, bis die alte Dame im Alter von 7 Jahren an den Folgen einer Niereninsuffizienz starb. Ich habe noch nie eine derart harmonische Gruppe erlebt, trotz des gewaltigen Altersunterschieds. Zur Erinnerung: Diese Oma fühlte sich mit umgerechnet 60 Menschenjahren jung genug, um sich die Erziehung zweier Babys anzutun, und genoss dies in höchstem Maße. Ich bin genauso alt, aber ganz ehrlich gesagt, ich würde mir so etwas um keinen Preis antun. Ich denke allerdings (zumindest meistens) nach, bevor ich etwas mache. Was nicht immer hilfreich ist. Tiere dagegen handeln einfach und sie wissen meistens instinktiv, was zu tun ist. Adiri neigt ebenfalls dazu, Babys zu adoptieren. Und irgendwie hoffe ich, dass sie dies nochmals tun wird (hoffen ungleich wissen…). Wie schon gesagt, im Moment weiß ich noch nicht, was ich machen werde in Bezug auf Adiri und Baby-Böckchen.
Bisher hatte ich 4x ein Jungböckchen im Rudel. Bei ihrem Einzug waren sie 2 Monate, 4 Monate bzw. 8 Monate alt, sowie das gerade beschriebene, hier geborene Böckchen. Bei keinem von ihnen habe ich irgendetwas von einer Rappelphase mitbekommen, obwohl ich die Schweinchen im Wohnzimmer halte.
Meine bisherigen Erfahrungen decken sich also überhaupt nicht mit euren Erfahrungen. Ihr habt mir aber durchaus einen ziemlichen Schrecken eingejagt mit dem Thema Rappelphase. Ich kann eure Erfahrungen halt überhaupt nicht nachvollziehen. Allerdings sehe ich jetzt, dass die Dinge auch völlig anders laufen können/könnten.
Mir ist schon klar, dass jedes Schweinchen (so wie ein Mensch) in die Pubertät kommt. Aber eine Rappelphase, in der es wirklich so richtig heftig rappelt, habe ich halt nur bei dem beschriebenen Weibchen erlebt. Da dies mein erstes Erlebnis dieser Art war, nahm ich an, dass sie einfach vom Charakter her ein Stänkerschweinchen ist. Mit mir verstand sie sich supertoll. Sie hat sich (vermutlich mangels anderer Gesprächspartner, weil sie von jedem Schweinchen gemieden wurde) jeden Abend auf ihre Hängematte gesetzt und sich laut mit mir unterhalten und mir Geschichten erzählt.
Meine Mädels müssen jetzt schon fast ½ Jahr auf ein Böckchen verzichten. Trotz aller nach wie vor vorhandenen Harmonie, aber mit Böckchen war ihr Leben einfach schöner als jetzt ohne. Ihr redet ja auch immer von "artgerecht". Ich möchte auch nur ungern bis zu Adiris Tod warten, bis es wieder ein richtiges Rudel mit Böckchen geben kann. Auch ihr fehlt ein Böckchen im Rudel, sie hatte ja zeitlebens eines gehabt.
Jedes Böckchen bis hin zu 2 Jahren kann laut euren Angaben weiterhin immer wieder Rappelphasen durchmachen. Abgesehen davon gibt es hier (mitten in der Pampa) keine Auswahl an Böckchen (außer Babys), und fast alle sind unkastriert. Ich suche schon seit Monaten vergeblich. Dieses eine Baby-Böckchen könnte dagegen voraussichtlich bis zum Absitzen der Kastrationsfrist noch bei seinem Bruder und seinem Papa verbleiben und würde erst Mai/Juni bei mir einziehen. In dieser Zeit hätte er auch schon einiges an Böckchen-Verhalten gelernt.