Ich erinnere mich kaum noch. Aber ich erinnere mich gern. Daran, wie ich mit Mama und meinem Bruder durchs Heu gerannt bin. Wir sind gehüpft und haben Fangen gespielt. Es roch nach Bergwiese und nach Mama. Dann kam eine riesige Pfote und brachte mich weg. Hierher. Das Erste, woran ich mich erinnere, ist ein riesiger Baum. Der duftete fein und war voller Lichter. Den ganzen Abend raschelte Papier.
Ich weiß nicht, wie lange es her ist, die Tage verschwimmen. Ich habe Hunger, aber hier gibt es nur gepressten Brei. Ich vermisse den Duft von frischem Heu. Es muss doch einen Weg hinaus geben! Ich tapse aus meinem Haus, meine Pfötchen tun weh. Ich beiße in die Stangen, die meinen Weg zur Freiheit versperren. ICH WILL HIER RAUS. Oh nein. Das hat sie wohl angelockt. Sie läuft auf mich zu, ich bringe mich in Sicherheit. Puh, geschafft. Hier wird sie mich nicht finden. Was… was ist das? NEIN! Mein Haus! HIIIIIILFEEE! Sie umschließt mich fest, tut mir weh. Dann endlich setzt sie mich auf den Boden. Ich bin starr vor Schreck. Sie greift wieder nach mir, zerzaust mein Fell. Ich schreie. Niemand hört mich.
Seit drei Tagen sitze ich in meinem Haus. Draußen gibt es vergilbtes Heu und Pressbrei. Ich mag nicht mehr fressen. Ich möchte zurück zu meiner Mama und meinem Bruder… Ich habe Durst. Das Wasser aus der großen Stange schmeckt nach Algen. Ich lege mich zurück in mein Haus. Mama, wo bist du? Ich mache die Augen zu.
Ich werde wach und spüre einen kühlen, feuchten Boden. Ich öffne die Augen. Was ist dieser helle Schein, der fast weh tut in meinen Augen? Er berührt mich und das grüne Heu unter mir. Ich habe so einen Hunger! Ich probiere das grüne Heu. Mhhhhhh, das ist ja sogar noch besser als das Heu, das ich mit Mama gegessen habe! Und es duftet so toll! Ich höre etwas. Wer ist da? NEIIIN, sie wird mich greifen! Nichts passiert. Als ich aufschaue, sehe ich Mama. Sie sieht immer noch aus wie damals. Und neben ihr sitzt mein Bruder! Beide fressen das grüne Heu, das am Boden wächst. Ich renne los, meine Pfötchen schmerzen nicht mehr. Ich jage meinen Bruder bis wir müde sind. Endlich bin ich wieder glücklich. Endlich bin ich wieder frei.
Ich möchte heute eine Kerze für Muffin anzünden, der sein Leben allein in einem 40x60 cm Käfig verbracht hat. Ich habe alles getan, um seine Besitzer davon zu überzeugen, ihn artgerecht zu halten. Nun ist er nicht mehr da, und ich bin erleichtert. Jetzt ist er endlich an einem schönen Ort. Ruhe in Frieden, kleiner Engel! Ich werde dich nicht vergessen.
Text veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Steffi Steentjes.