Schöne Frau,
"Die ist hübsch, die nehmen wir". Das waren das Erste was mein Vater gesagt hat als er dich gesehen hat. Dann hat er sich vorgebeugt und nach dir gegeriffen. Du bist völlig erschrocken davon gestoben und hast dich versteckt während die Verkäuferin und ich beide lauthals "NEIN!!!" geschrieen haben. Dann ging es zu allererst zum Tierarzt, weil wir Sorge hatten, dass du vielleicht eine Krankheit hast. Die Tierärztin und die Helferin waren auch ganz begeistert von dir. "Nein wie 'süüüß'." Und ja, sie hatten alle Recht. Du warst ein bildschönes Schweinchen. Eine kleine rot-schwarze Rosettendame mit einem winzigen runden Köpfchen und riesigen Kulleraugen. Auch meine Stiefmutter war begeistert von dir und die war eine harte Nuss findet sie doch dass Meerschweinchen aussehen wie Ratten ohne Schwänze. Nein, von dir war sie begeistert. Das Räuberchen war es nicht und es hat ordentlich zwischen euch gekracht am Anfang. Ich kann mich dran erinnern dass das Häuschen gewackelt hat als ihr zwei da drin gesessen habt. Ich habe dann umgebaut und ihr hattet mehr Platz, konntet euch aus dem Weg gehen und es wurde besser. Durch den täglichen Auslauf hast du dann deinen Namen bekommen. Immer, wenn du unter meinem Schrank gesessen hast bist du mit lauter Flusen in den Haaren wieder herausgekommen. Eine kleine Fluse also.
Nach meinem Auszug bekamt ihr dann euer erstes Gehege und es ging besser mit dir und Räuber. Noch besser wurde es als ich eine zweite Heuraufe dazugestellt habe. Trotzdem so grün wart ihr euch nicht. Nach einem zweiten Umzug und einem neuen Gehege kam dann endlich Joschi dazu und es kehrte Frieden ein. Aber auch ein Problem mit dem ich gerade jetzt zu kämpfen habe, wenn ich dir einen würdigen Nachruf schreiben will. Du warst immer irgendwie außen vor in der Truppe. Du warst das stille Persönchen um Hintergrund und die Anderen haben sich irgendwie immer vorgedrängelt mit Krankheiten oder spektakulären Aktionen. Abgesehen von deiner Serie von Bindehautentzündungen als du gerade ein halbes Jahr bei mir warst hattest du keine wirklichen Krankheiten. Du hast einmal eine Phase gehabt in der du ein bisschen gejammert hast um mich reinzulegen und dann ganz schnell versucht hast abzuhauen. Das hat auch wunderbar funktioniert, bis du das mal beim Krallenschneiden gemacht hast und ich zu tief in die Kralle geschnitten habe. War ein ganz schöner Schreck für uns beide, oder?
Ein wirklich fröhliches Meerschweinchen warst du nie. Zumindest habe ich dich so nicht empfunden. Du warst immer ein bisschen grummelig und schnell pickiert, aber du warst auch anhänglich. Du bist diejenige gewesen die später an der Glasscheibe gesessen hat, wenn ich morgens aufgewacht bin. Du hast dir den Nacken und das Köpfchen kraulen lassen bis du die Nase voll hattest, dann hast du energisch das Köpfchen in die Luft geworfen und die Hand weggedrückt. Du wusstest genau was du wolltest und was du nicht wolltest.
Als Fofo zu uns gekommen ist war er sofort in dich verliebt. Christina war ganz überrascht als er immer wieder hinter dir her gelaufen ist und gegurrt hat und... du weißt schon... . Ich persönlich glaube ja, dass du ein bisschen überfordert warst mit so viel Liebe die plötzlich über dich gekommen ist. Du hast den kleinen Kerl weggebissen und warst auch sonst sehr bemüht Abstand zwischen euch zu kriegen. Am Ende war er aber hartnäckiger und ich muss sagen das hat mir sehr gefallen. Das du jetzt nicht mehr so außerhalb von der Truppe gestanden hast. Als deine alten Weggefährten im letzten Jahr eine nach der Anderen über die Regenbogenbrücke getrippelt sind warst du die unangefochtene Königin im Gehege. Du hast das Fräulein Fluff willkomen geheißen und bist sehr liebevoll mit ihr umgegangen, hast sie sogar geputzt und dich um sie gekümmert nachdem das Stinktier gegangen war.
Du bist eine alte Frau gewesen, schon lange bevor du wirklich alt warst. Im Herbst wärst du 8 Jahre geworden und du warst ein bisschen grummelig und hattest ein paar Zipperlein. Deine Artrose war bekannt und du hast Medizin bekommen, abgesehen von deiner Verletzung vor ein paar Monaten war das aber auch ziemlich unspektakulär. Dein Ende hingegen war unschön. Ich hätte dir ein anderes gewünscht.
Das du wohl bald nicht mehr bei uns sein würdest war mir bewusst. Du hast sehr tief geschlafen, so tief das es teilweise eine Weile gedauert hat bis du wach warst und ich habe ein ums andere Mal geglaubt das du schon eingeschlummert seist. Heute fingst du dann an dich im Heu zu verstecken und kleine Löcher zu graben. Ich habe mal gelesen, dass das ein Zeichen ist das ihr merkt, dass es zu Ende geht. Ich hatte also ein bisschen mentale Vorbereitung.
Heute Abend habe ich dann einen Blick in das Gehege geworfen und dabei Fofo aufgeschreckt. Beim Weglaufen ist er in dich gelaufen und da habe ich gesehen dass du Probleme beim Aufstehen hattest. Ich hab versucht mit Metacam zu helfen, ich hab versucht dir etwas zu Fressen zu geben, aber du warst schon zu schwach um zu schlucken. Damit du bei deinen Lieben sterben konntest habe ich dich in das Gehege gelegt und ein bisschen frisches Heu um dich plaziert. Aber dann haben die Krämpfe eingesetzt und es war schnell klar, dass du nicht einfach einschlafen würdest. Ich hoffe dass das Metacam was ich dir heute Mittag wegen deiner Hüfte gegeben habe dir ein bisschen Schmerz weggenommen hat. Die Fahrt zu dem Tierarzt kam uns beiden wie eine halbe Ewigkeit vor. Dir, weil du immer wieder Krämpfe hattest, mir weil ich dich festgehalten habe damit du dich während der Krämpfe nicht verletzt. Bis die Spritze gewirkt hat hat es dann wieder ewig gedauert. Du hast immer wieder gekrampft und ich hoffe wirklich dass du davon nichts mehr mitbekommen hast, dass du schmerzfrei gehen konntest.
Schöne Frau, du warst das stille Schweinchen, der Teil der Gruppe der zwar unauffällig blieb aber doch unverzichtbar war. Du warst nicht schüchtern, wenn du etwas wolltst hast du das sehr deutlich gemacht. Als ich dich ins Gehege gelegt habe damit die anderen zwei Abschied nehmen können hat Fofo dich geputzt. Er war sehr gründlich und sehr vorsichtig. Jetzt liegt er in seinem Nest, hat sich ganz platt gemacht und ist ganz still. Das Plüsch ist auch traurig. Kein Gehüpfe mehr, sie liegt ganz platt auf dem Wasserbett.
Die nächsten Tage werden schwer für uns drei. Zu verstehen, dass du nicht mehr da sein wirst. Dass du nicht mehr auf den Hinterbeinchen an der Plexiglasscheibe stehst um Futter bettelst oder aus einer versteckten Ecke gelaufen kommst wenn es Heu gibt. Dein Grummeln wird uns fehlen, dein Dickkopf mit dem du immer um jedes Angebot es dir bequemer zu machen herumgelaufen hast. 'Warmes Wasserbett? Püh. Rotlich? Nö, das ist mir zu doof.'
Ich hoffe am Ende konnte ich dir doch helfen und dass du dich auf der Regenbogenwiese mit Räuber besser vertägst und dir das Gras schmecken lässt.
Wir vermissen dich Fluse.
Gute Nacht und schlaf gut, mein kleiner Schatz.
Jetzt ist alles gut.