Am Anfang, tja, am Anfang warst du eigentlich nur der 2. . Ich sah Thore, deinen kleinen Meerschweinchenfreund beim Notmeerschweinchenverein und war verzaubert. Von dir war kein Bild drin. Mir war das egal, ihr habt beide zusammengehört und ich dachte mir, das zweite Schweinchen wird auch niedlich sein. Und dann kam der Tag, an dem ich euch abgeholt habe. Vom Verein wurde mir vorher gesagt, dass euer Lieblingsessen Gurke ist, also habe ich in den Transportkorb ein paar frische Scheiben gelegt. Und dann sah ich euch: so klein und so scheu. Die Heimfahrt muss furchtbar für euch gewesen sein. Aber ihr hattet einander.
Im neuen Heim angekommen, taute dein Freund Thore recht schnell auf, so verfressen wie er ist, doch du bliebst misstrauisch und wolltest nicht dass dieser blöde Mensch so oft in der Nähe ist. Sobald du mich gesehen oder gehört hast, warst du verschwunden. Dann kam der Tag, an dem ihr zum ersten Mal euren Auslauf testen durftet – und du hast alle Angst vergessen. Wie ihr beide rumgesprungen seid und die kleinen Beinchen in die Luft geworfen habt – das war pure Lebensfreude. Von diesem Punkt war ich ein notwendiges Übel, mit dem man zur rechnen hatte, wenn man im Zimmer rumtoben wollte. Dabei hast du dich immer ganz nahe bei Thore gehalten, er gab dir so viel Sicherheit.
Und obwohl ich am Anfang dachte, dass du mich nicht mochtest, wurdest du mit den Jahren immer zutraulicher. Na klar, beim Krallenschneiden wurdest du zur Kampfsau, aber du hast nie gebissen. Und mit einem Löwenzahnblatt war das Ganze auch schnell wieder vergessen.
Irgendwann wurdet ihr ruhiger, aber als ich dann drei kleine Katzenbabys mitgebracht habe, die gerade mal so groß waren wie ihr – da habt ihr mich noch mal zum Staunen gebracht. Ohne Furcht bist du durch die Katzenkinderstube gegluckst, bist den Katzenbabys hinterhergerannt und als die Kleinen sehr krank wurden, oft starke Schmerzen durchstehen mussten und sich deshalb bei euch im Heu verkrochen hatten, hast du dich in ihre Nähe gelegt und durch deine bloße Anwesenheit Trost geschenkt. Als aus den Katzenbabys riesige Kater wurden, die irgendwie nicht ausziehen wollten, hast du trotzdem keine Angst vor Ihnen bekommen. Gemeinsam mit Thore und den Katzen wurde abends Salat geknabbert.
Ein Meerschweinchen, dass kleinen Katzen beibringt ganz wild auf Salat und Petersilie zu sein – das gibt es nicht alle Tage.
Ja, du warst etwas ganz Besonderes. Ich habe es immer für selbstverständlich gehalten dich um mich zu haben. Dass du kein hohes Alter erreichen solltest, ahnte ich nicht.
Als du dann plötzlich nicht mehr gefressen hast, ein Tierarztbesuch auf den anderen folgte und der Odin, der in seinem Charakter so einzigartig war, hinter einem Schleier des Leidens verschwand, brach für mich eine Welt zusammen. Doch ich wollte stark für dich sein, wollte mit dir gemeinsam kämpfen, an einen guten Ausgang glauben – bis ich merkte, dass du dich aufgegeben hast und nicht mehr kämpfen wolltest. Mein kleines Kampfschwein hatte aufgehört zu kämpfen – das musste ich akzeptieren.
Und nun hoffe ich, dass dir wieder gut geht, wo immer du auch bist. Vielleicht schaust du ja vom Meerschweinhimmel herab auf uns, deine kleine Familie, die du hier zurückgelassen hast. Auf deinen geliebten Freund Thore, mit dem du dich immer so gut verstanden hast, der dir so viel Sicherheit gab. Ich verspreche dir, dass ich auf ihn aufpassen werde und dass er noch ein glückliches Leben vor sich hat. Ich hoffe, er wird mit einem anderen Schweinchen so glücklich wie er es mit dir war; ich will ganz fest daran glauben.
Finde deinen Frieden, Odinchen, wir hier unten leben weiter so gut es geht bis der Tag kommt, an dem wir uns alle wiedersehen. Aber wisse, dass dein Platz in meinem Herzen für immer bleibt – den kann kein anderes Tier einnehmen. Ich habe dich sehr geliebt, kleiner Mann.